Grünes Wachstum allein reicht nicht

Belege und Argumente gegen grünes Wachstum als alleinige Strategie für Nachhaltigkeit

von Tim Parrique, Jonathan Barth, François Briens, Christian Kerschner, Alejo Kraus-Polk, Aanna Kuokkanen, Joachim Spangenberg.

Ist es möglich, ein stetiges Wirtschaftswachstum zu erzielen und dabei gleichzeitig die Umwelt zu schützen? Diese Frage ist immer wieder Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen zwischen VertreterInnen von grünem Wachstum und Postwachstum. Im letzten Jahrzehnt hat grünes Wachstum die Politikgestaltung deutlich dominiert, da die politischen Agenden der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und zahlreicher Länder auf der Annahme basieren, die Entkopplung von Umweltbelastungen und Wirtschaftswachstum könne künftig ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum schaffen.

In Anbetracht der Ausmaße dieser Annahme bedarf es einer sorgfältigen Analyse, um die wissenschaftlichen Grundlagen hinter der Entkopplungs-Theorie zu bewerten. Dieser Bericht berücksichtigt sowohl empirische als auch theoretische Literatur, um die Aussagekraft der Entkopplungs-Theorie zu evaluieren. Das Ergebnis ist überraschend eindeutig und zugleich ernüchternd: Es gibt keine empirischen Beweise für eine Entkopplung des Wirtschaftswachstums von der Umweltzerstörung, die auch nur annähernd den ausreichen, um die internationalen, europäischen und nationalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Vielmehr gibt es zahlreiche Argumente, die gegen die Erwartung einer Entkopplung in der Zukunft sprechen.

Es ist daher dringend geboten, diese Erkenntnisse auf die politische Ebene zu tragen und in Ländern mit hohem Konsumniveau eine Abkehr vom anhaltenden Streben nach Wirtschaftswachstum einzuleiten. Konkret bedeutet dies, existierende politische Strategien zur Effizienzsteigerung mit Maßnahmen, die auf Suffizienz abzielen, zu ergänzen. Dafür ist die direkte Reduzierung der wirtschaftlichen Produktion in vielen Sektoren notwendig, die mit einer gleichzeitig erfolgenden Konsumreduktion einhergehen muss, um den Bürgern ein gutes Leben innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten ermöglichen zu können. Laut der Autoren dieses Berichts sowie den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen kann nur auf diesem Wege das Vorsorgeprinzip der EU berücksichtigt werden, welches besagt, dass Maßnahmen nicht durchgeführt werden dürfen, solange sie keinen eindeutigen wissenschaftlichen Konsens erlangt haben.

Die Tatsache, dass Entkopplung allein, beispielsweise ohne das Thema Wirtschaftswachstum aufzugreifen, bei Weitem nicht ausreichend war oder ist, um die Umweltbelastungen genügend zu reduzieren, ist aber kein Grund dafür, das Thema Entkopplung beziehungsweise die Maßnahmen zur Erreichung der Entkopplung (und zwar im wortwörtlichen Sinne der Trennung der Umweltbelastung vom Bruttoinlandsprodukt) komplett abzulehnen. Im Gegenteil: ohne vieler dieser Maßnahmen würde die heutige Situation weitaus schlechter aussehen. Die Studie gibt stattdessen Anlass zu großen Bedenken über den vorrangigen Fokus von grünem Wachstum in politischen Entscheidungsprozessen, welcher in erster Linie auf der fehlerhaften Annahme basiert, eine ausreichende Entkopplung könne durch eine reine Effizienzsteigerung ohne jegliche Eingrenzung wirtschaftlicher Produktion oder einer Konsumreduktion erreicht werden.

 09.07.2019

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